Warum gibt es fleischfressende Pflanzen?

Mira züchtet fleischfressende Pflanzen. In der Natur fressen im Normalfall Tiere Pflanzen – bei den Fleischfressenden Pflanzen ist es genau umgekehrt. Die Wissenschaftsreporter gehen der spannenden Frage nach, wofür diese Pflanzen Tiere fangen und sogar verdauen – und warum sich dennoch die allermeisten Pflanzen durch Photosynthese ernähren.

Lebensbedingungen

Karnivoren-Forscher Andreas Fleischmann

Wir treffen den Biologen Andreas Fleischmann in einem Gewächshaus des Botanischen Gartens in München. Fleischmann ist Kurator der Botanischen Staatssammlung. Er hat sich wie Mira schon als Kind für Fleischfressende Pflanzen interessiert und diese gesammelt. Unsere Podcasterin Caroline erklärt uns, dass alle Fleischfressende Pflanze im Gewächshaus in Bottichen stehen und feuchten sowie moosigen Boden um sich herum haben. Von kannenartigen Gewächsen bis hin zu Pflanzen, die fast nicht sichtbar sind – es ist eine Vielfalt an Formen. Der Raum ist mit 15°Celsius angenehm warm, keinesfalls hat er aber tropische Temperaturen. Fleischmann erklärt, dass die herkömmliche Vorstellungen von Fleischfressenden Pflanzen als Tropenarten großteils falsch sind.

Die wenigsten kommen aus den Tropen, die meisten aus den Regionen ums Mittelmeer und zum Teil auch aus kühleren Regionen wie Deutschland.

Andreas Fleischmann

Nährstoffarme Böden

Fleischfressende Pflanzen sind wie alle anderen Pflanzen aufgebaut. Ihre grünen Blätter benutzen sie zur Herstellung von Zucker durch die Photosynthese und ihre Blüten und Früchte (bei den Fleischfressenden Pflanzen meistens kleine Kapseln mit Samen) zur Fortpflanzung. Insekten brauchen sie gewissermaßen als „Nahrungsergänzungsmittel“. Sie können den für sie wichtigen Stickstoff und Phosphor nicht wie ihre Artgenossen aus dem Boden gewinnen. Nahezu alle Karnivoren leben in Feuchtgebieten, in denen der Boden sehr nährstoffarm ist.

Fangmechanismen

Fleischfressende Pflanzen fangen ihre Beute nicht mit ihren Blüten, sondern über ihre Blätter. Die Insekten fallen zum Beispiel bei den Schlauchpflanzen in deren Schläuche oder werden durch eine klebrige Substanz an den Blättern gefangen (z.B. Sonnentau). Allerdings gibt es einen grundsätzlichen Konflikt: Um sich zu vermehren, sind die sogenannten Karnivoren zur Befruchtung auf Insekten angewiesen. Gleichzeitig brauchen sie – quasi als Dünger – die Fleischbeilage, weil die kargen Böden nicht ausreichen. Sie müssen sich also „entscheiden“, ob sie das Insekt fressen wollen, oder es für ihre Fortpflanzung benutzen. Sex oder Nahrung? – das ist eine zentrale Frage, der Andreas Fleischmann nachgeht. Er forscht aktuell zu diesem „Bestäuber-Beute-Konflikt“.

Warum sind die meisten Pflanzen trotzdem Vegetarier geblieben? Die Produktion und Aufrechterhaltung von Fangmechanismen, wie auch das „Verdauen“ ist aufwendig. Der Fang „lohnt“ sich erst ab einer bestimmten Größe der Beute.

Der Fressvorgang

Karnivoren verfügen über hochkomplexe Fangmechanismen. Zum Beispiel der Sonnentau: Hier wird eine klare zuckerhaltige Flüssigkeit, die wie Wassertropfen an den Blättern der Pflanze klebt, ausgebildet, um Insekten anzulocken. Diese werden mit der Ähnlichkeit zu Tau oder Wasser getäuscht und bleiben an dem Blatt kleben. Durch die Sekretflüssigkeit der Pflanze werden sie dann verdaut – ganz ähnlich zum Vorgang der Verdauung im menschlichen Magen. Das Sekret wird in den sogenannten Tentakeln produziert, die sich dann um das Insekt schließen und die Flüssigkeit ausgeben.

Die bekannteste Fleischfressende Pflanzen ist die Venusfliegenfalle. Das oberste Blatt dieser Pflanze ist in zwei Hälften geteilt, die auf ihrer Oberseite viele Härchen ausbilden. Wird eines dieser Härchen in kurzem Abstand zweimal bewegt, schließt sich die Pflanze schlagartig und „fängt“ die Beute. Die Pflanze unterscheidet zwischen „lohnender Beute“ (Fliegen) und wertloser Beute (etwa abgestorbene Blätter). Das funktioniert so: Die Blätter der Pflanze werden nach Kontakt der Fühlhaare nicht komplett verschlossen, weshalb sehr kleine Insekten die Pflanze wieder verlassen können. Große Fliegen hingegen, bei denen sich das Verdauen für die Pflanze rentiert, können durch die Borsten der Pflanze nicht entwischen. Je nach Pflanze werden die Tiere zerdrückt, erstickt oder lebend verdaut.

Beutetiere

Horrorfilme vermitteln die Vorstellung, dass Karnivoren auch Menschen verschlingen können. Doch die größten Beutetiere entsprechen höchstens der Größe einer Ratte (aber nur in den Tropen) – eher als zufälliger Beifang, der nicht verdaut werden kann. Im Normalfall sind Insekten wie Fliegen oder Mücken Opfer der Pflanzen. Bei dem bei uns vorkommenden Sonnentau können sich größere Insekten wie Wespen wieder befreien.

Vermehrung

Fleischfressende Pflanzen vermehren sich so wie die meisten anderen Pflanzenarten – sie blühen. In den Blüten werden Samen produziert, die durch die unterschiedlichsten Insekten in andere Blüten der gleichen Art übertragen werden. Daher benötigen Karnivoren Insekten nicht nur als Fleischbeilage, sondern auch als Bestäuber – allerdings fressen sie nicht die Arten, die sie befruchten. Warum das so ist, wissen die Forscher noch nicht.

„Erfindungen“ der Karnivoren

Ein Forschungszweig, der sich Bionik oder Biomimetik nennt, forscht daran, wie Mechanismen aus der Natur für Alltagsinnovationen benutzt werden können. Zum Beispiel wurde herausgefunden, dass die Venusfliegenfalle fast keine Materialermüdungserscheinungen besitzt. Dies ist der Fall, da die Pflanze bei ihren Fangblättern keine Gelenke besitzt, die verschleißen könnten. Könnte man diesen Mechanismus im Alltag übertragen, wären Technologien der Zukunft möglicherweise viel länger haltbar als bisher!

Mehr dazu in unserem Podcast: „Von wegen Vegetarier – warum gibt es fleischfressende Pflanzen?“

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