Das Turbo-Organ: Was macht das Lernen mit meinem Gehirn?

Lernen und Gehirn
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Die Wissenschaftsreporter beschäftigen sich in dieser Folge mit der Schaltzentrale unseres Körpers, einem Organ, das sich immer weiterentwickeln und verändern kann und niemals auslernt: dem Gehirn!

  • Doch wie funktionieren Lernprozesse im Gehirn?
  • Welche Methode ist besonders sinnvoll, um etwas zu lernen?
  • Welche Rolle spielen Dopamin und andere Botenstoffe bei diesem Lernprozess?
  • Wie wählt das Gehirn aus, welche Informationen für uns relevant sind?
  • Wodurch können Lernprozesse gestört werden?
  • Und warum gibt es so viele unterschiedliche Lerntypen?

Diese und weitere Fragen stellen wir unserem Experten Dr. Nicolas Schuck vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in unserer neuen Podcastfolge: „Das Turbo-Organ: Was macht das Lernen mit meinem Gehirn?“

Hirnforscher Dr. Nico
Hirnforscher Dr. Nicolas Schuck, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Warum Neuronen Wiederholungen mögen

Jede Gehirn-Nervenzelle, das sogenannte Neuron, hat einen kleinen Zellkörper, von dem viele armartige Axone abgehen, mit denen sie sich mit über eintausend anderen Nervenzellen verbindet. Die Verbindungselemente zwischen den Neuronen nennt man Synapsen, über welche die Nervenzellen untereinander kommunizieren können.

In unserem Gehirn gibt es schätzungsweise 85 Milliarden Nervenzellen und 100 Billionen Synapsen. Auf neuronaler Ebene entspricht Lernen nichts anderem als der Verknüpfung von Nervenzellen durch Synapsen und deren Ausbau. Je mehr eine Synapse verwendet wird, desto besser wird sie ausgebaut und umso solider wird das Gelernte behalten.

Es gibt zwei Einflussfaktoren darauf, wie schnell wir etwas lernen: Auf der einen Seite prägen wir uns Informationen allein durch ihre Wiederholung ein, auf der anderen Seite lernen wir vor allem jene Sachen am schnellsten, die uns interessieren, da wir motiviert sind, uns diese zu merken.

Die Rolle des Glückshormons Dopamin


Die Neuronen unseres Gehirns kommunizieren über die Synapsen unter anderem mit Hilfe des Botenstoffs Dopamin. Es ist auch bekannt als Glückshormon, da es positive Gefühle bei uns auslöst, die Motivation steigert und uns antreibt. Große Ausschüttungen von Dopamin in unserem Gehirn gibt es vor allem dann, wenn wir unerwartet belohnt werden, aber auch die bloße Erwartung an eine Belohnung macht bereits glücklich und motiviert.

Beim Lernprozess hilft Dopamin den Nervenzellen, das Gelernte tiefer zu verankern, indem es dafür sorgt, dass sie sich besser miteinander vernetzen, sprich: Wenn im Moment der Verknüpfung Dopamin ausgeschüttet wird, ist der Verknüpfungseffekt automatisch stärker und das Gelernte prägt sich noch besser ein.

Wie unser Gehirn auswählt, was wirklich wichtig ist


Reize werden nicht schon beispielsweise in den Augen gefiltert, sondern erst in bestimmten Hirnarealen. Da dort nur die Informationen weitergeleitet werden, auf die wir unsere bewusste Aufmerksamkeit lenken, kommt es öfter zur sogenannten Unaufmerksamkeitsblindheit.

Wir nehmen manche offensichtlichen Sachen nicht wahr, weil unser Gehirn über ihre vermeintliche Unwichtigkeit entschieden hat. Die Filterleistung in unserem Gehirn kann also sehr stark sein.

Lernen im Schlaf: das Replay-Phänomen


Neu erlernte Informationen werden erst einmal im Hippocampus, einer Art Zentralspeicher, verarbeitet. Später können sie tiefer ins Gedächtnis eingeschrieben werden. Forscher*innen haben sogar beobachtet, dass unser Gehirn im Schlaf Erinnerungen abspielt, als würde es sie erneut erleben. Dieses sogenannte Replay-Phänomen führt dazu, dass wir diese Erfahrungen noch tiefer im Gehirn verankern, dies wird auch Konsolidieren genannt.

Aber nicht nur im Schlaf kann es zu solchen Wiederholungsphasen kommen, sondern auch im wachen Zustand, wenn wir eine kurze Pause vom Lernen einlegen beispielsweise. Denn das Gehirn braucht eine gewisse Zeit, bis es Informationen zuverlässig abspeichert.

Wie die Arbeit des Gehirns erforscht wird


Da man die Signale der Neuronen mit bloßem Auge nicht erkennen kann, benötigt man indirekte Methoden, um sie zu untersuchen. Das sind die drei wichtigsten:

  • Mithilfe der Magnetresonanztomographie, kurz MRT, können Veränderungen im Blutfluss gemessen werden, welche proportional zur Aktivität der Neuronen sind. Das heißt: Je stärker der Blutfluss, desto aktiver „arbeitet“ die entsprechende Hirnregion. Das Problem bei dieser Methode ist jedoch, dass die Auflösung der MRT-Bilder noch nicht gut genug ist, um einzelne Neuronen sichtbar zu machen: In einem 1 Kubikmillimeter großen Stückchen Gehirn, in etwa so groß wie ein Kiwi-Samen, können bis zu 1 Million Neuronen vorhanden sein. Deswegen kann man sich derzeit nur einen groben Überblick über ihre Aktivitäten verschaffen.
  • Die Aktivität einer Hirnregion kann aber auch mit der sogenannanten Positronen-Emissions-Tomographie untersucht werden. Dazu werden sogenannte Tracer, radioaktiv markierte Stoffe, injiziert, die bei ihrem Zerfall strahlen. In aktiven Gehirnregionen sammeln sich diese Tracer an und es können mehr Zerfälle registriert werden.
  • Auch in einer sogenannten Elektroenzephalografie, kurz EEG, kann die Aktivität von Nervenzellen gemessen werden. Denn sie kommunizieren auch über elektrische Signale miteinander die dadurch entstehenden elektromagnetischen Felder können in einem EEG gemessen werden.

Vorglühen des Glückszentrums wichtig für jeden Lerntyp


Jeder Mensch lernt anders: Es gibt zum Beispiel auditive, visuelle oder kommunikative Lerntypen. Aber ob und warum es diese Unterschiede gibt, kann die Forschung noch nicht beantworten. Studien haben gezeigt, dass wir uns meistens sogar falsch einschätzen, was unseren Lerntyp betrifft.

Außerdem gibt es bestimmte äußere Anforderungen, damit wir uns etwas besonders schnell merken können: regelmäßig Pausen machen, viel frische Luft und eine angenehme Arbeitsatmosphäre sind dabei sehr hilfreich.

Wichtig sind auch Motivation und Neugierde. Letzteres ist nichts anderes als eine Art Vorglühen des Glückszentrums. Unser Gehirn bereitet sich auf den angestrebten Glücksmoment vor. Deswegen kann uns Lernen so viel Spaß machen. So bleiben wir ein Leben lang neugierig und bilden uns auch bis ins hohe Alter weiter. Und je mehr Lernerfolge man hat, desto motivierter ist man weiter zu lernen. Das führt dann wiederum dazu, dass man besser wird. Es kann sich also eine Art positive Schleife bilden.

Wie man lernt wäre tendenziell egal. Wenn wir allerdings mit einer Methode bereits Erfolg hatten, sind wir motiviert, diese weiter zu nutzen, denn das wiederum aktiviert die Dopaminausschüttung und hilft uns, erfolgreicher zu lernen.

Warum unser Gehirn nie mehr vergisst, wie Radfahren geht


Wir können Informationen und Faktenwissen ganz bewusst (auswendig) lernen, damit wir es in einem Test oder einer Prüfung abrufen können. Unser Gehirn lernt aber auch unbewusst.

So lernen wir Fahrrad fahren nicht durch Nachlesen der Bewegungsabläufe in einem Buch, sondern durch Ausprobieren und Üben. Sobald wir aber dann sicher Fahrrad fahren können, vergessen wir es nie wieder, da unser Gehirn die passenden Abläufe gelernt und gespeichert hat.

Der Lernprozess nach einem Schlaganfall


Beim Schlaganfall handelt es sich um eine Durchblutungsstörung im Gehirn, die entweder durch Verstopfen oder Reißen einer Arterie, in selteneren Fällen auch durch Verstopfen einer Vene entsteht. Durch die Unterversorgung an Sauerstoff oder eine raum nehmende Hirnblutung können ganze Hirnregionen absterben. Die Erkrankten erleiden deshalb häufig dauerhafte und irreparable Lähmungen in verschiedenen Körperregionen, Seh- und Sprachstörungen sowie geistige Ausfälle wie etwa Gedächtnisprobleme.

Es kann jedoch vorkommen, dass andere Hirnregionen die Aufgaben des geschädigten Areals übernehmen. Denn unser Gehirn kann kurzzeitig extrem lernfähig werden und große Teile seiner bisherigen Leistungen wieder herstellen oder in andere Hirnregionen auslagern.

Gehirndoping durch Ritalin kann schnell gefährlich werden


Da die Einnahme von Methylphenidat (bekannt als Ritalin) zu einer stärkeren Ausschüttung von Botenstoffen wie Dopamin führt und somit einen positiven Einfluss auf den Lernprozess in unserem Gehirn hat, nehmen viele Schüler*innen und Studierende in stressigen Prüfungsphasen dieses Medikament ein, um ihre Leistungen zu steigern.

Die Effekte von Methylphenidat können aber sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wie gesund das Dopaminsystem arbeitet. Bei Kindern, die Ritalin verschrieben bekommen, beispielsweise weil sie ADHS haben, ist eben jenes Dopaminsystem gestört. Bei Menschen mit einem gesunden Dopaminhaushalt hingegen findet nicht automatisch eine Verbesserung des Lernprozesses durch die Einnahme dieses Medikaments statt.

Die Einnahme von Methylphenidat kann zudem sogar zu Schlaflosigkeit und Abhängigkeit führen, weswegen von der grundlosen Einnahme dieses Medikaments dringend abgeraten wird. Zudem fällt sein Gebrauch unter das Betäubungsmittelgesetz und ist deswegen verschreibungspflichtig. Wer also kein Rezept von einer Ärztin oder einem Arzt dafür bekommt und es sich anderweitig besorgt, etwa im Internet, macht sich strafbar.

Unser Fazit

Menschliche Gehirne lernen im Prinzip ähnlich wie die von See-Schnecken! Unser evolutionärer Vorteil ist jedoch, dass wir Sprache haben. Und durch die Erfindung der Schrift unser Wissen über Generationen hinweg weitergeben können. Wichtig ist, dass Menschen ihr Gehirn nicht missbrauchen, um sich die „Erde untertan“ zu machen – sondern im Einklang mit Tieren und der Natur leben.

Die Wissenschaftsreporter

Unsere Quellen

Informationen zu Dr. Nicolas Schuck:

https://www.mpib-berlin.mpg.de/mitarbeiter/nikolas-schuck

Die Rolle des Botenstoffes Dopamin:

https://www.gehirnlernen.de/gehirn/neurotransmitter-und-ihre-bahnen/

Methoden zur Erforschung des Gehirns, Goethe-Universität Frankfurt

https://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/36050428/78-ausgewaehlte-methoden.pdf

https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/funktionelle-kernspinresonanztomographie/4418

https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/positronen-emissions-tomographie/11708

Wie funktioniert das Gehirn?

https://www.mpg.de/gehirn

Unser Podcast

Das Turbo-Organ – was macht das Lernen mit meinem Gehirn? Hosts: Klara Bosch und Gabriele Knetsch

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