Diesmal war es eine besonders spannende Folge für uns „Wissenschaftsreporter“! Denn wir waren zu Gast bei „Pint of Science“, einem Wissenschaftsfestival, das jedes Jahr innovative Entwicklungen aus der Welt der Wissenschaft einer breiten Öffentlichkeit näherbringen will.
Live und vor mehr als 30 Zuschauerinnen und Zuschauern haben wir am 17. Mai unser Experteninterview und unsere Abschlusskonferenz via Zoom abgehalten, denn coronabedingt fand auch „Pint of Science“ in diesem Jahr ausschließlich digital statt.
Unser Thema dieser Folge: „Genveränderter Weizen – wie können wir den Hunger in der Welt stoppen?“ Darüber haben wir mit Dr. Manuel Spannagl, Gruppenleiter in der Abteilung „Plant Genome and Systems Biology“ am Helmholtz Zentrum München gesprochen.
Warum der Weizen nicht für alle reicht – und wie Forscher das ändern wollen
Jeder Mensch isst ca. 65 Kilogramm Weizen pro Jahr. Wenn unsere Erdbevölkerung jedoch weiter so rasant steigt, werden wir bei gleichbleibenden Produktionszahlen in wenigen Jahren nicht mehr alle Menschen mit Weizen versorgen können, obwohl er in vielen Entwicklungsländern eines der Grundnahrungsmittel darstellt. Aber auch wir in Deutschland und anderen Industrieländern können uns nur schwer ein Leben ohne Brezeln, Nudeln oder Bier vorstellen.
Zudem ist unser Fleischkonsum zu hoch: Abgesehen davon, dass die Haltung von Tieren und die Fleischproduktion einen sehr schlechten CO2- Fußabdruck hinterlässt, werden auch viele Futtermittel aus Weizen hergestellt. Dafür wird nicht nur der tropische Regenwald für Getreideplantagen abgeholzt, sondern auch auf unseren Äckern Weizen angebaut, der dann erst über den „Umweg über das Tier“ auf unseren Tellern landet.
Damit in ein paar Jahren weiterhin genügend Weizen vorhanden ist, um die gesamte Erdbevölkerung zu versorgen, ist es auch unerlässlich, auf pflanzenbasierte Bio-Energieträger zu verzichten, eben etwa auf Getreide. Denn hier werden wertvolle Nahrungsressourcen zur bloßen Energieversorgung in Biogasanlagen verschwendet.
Forscher haben jedoch ausgerechnet, dass der wichtigste Faktor, um genug Weizen für alle zu produzieren, die Ertragssteigerung ist. Unser Experte Dr. Manuel Spannagl und sein Team haben mit 70 internationalen Institutionen und über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ganze 13 Jahre geforscht, um das Genom von 16 verschiedenen Weizensorten zu entschlüsseln. Auf dieser Basis können ertragreichere und resistentere Weizensorten gezüchtet werden. Der Durchbruch dafür gelang ihnen 2018.
Gen oder Genom – was ist der Unterschied?
Mit Genom ist die Gesamtheit des Erbguts gemeint, die eine Spezies besitzt. Es besteht aus Chromosomen, die aus strukturierter DNA aufgebaut sind. Ein Gen wiederum ist ein Abschnitt auf den Chromosomen und jedes dieser Gene codiert, ähnlich wie ein Bauplan, ein bestimmtes Protein, aus beispielsweise Zellen gebaut werden können.
Warum hat es so lange gedauert, das Genom des Weizens zu entschlüsseln?
Ein Problem bei der Entschlüsselung des Weizengenoms war, dass es nicht nur eine Weizenart gibt, und dass die Genome innerhalb einer Art auch variieren. Auch die Epigenetik, also die Veränderung des Gens durch Umwelteinflüsse, spielt eine wichtige Rolle, denn verschiedene Umweltfaktoren können unterschiedliche Veränderungen der DNA verursachen. Dadurch kann sich das Genom auch innerhalb einer Art bei unterschiedlichen Voraussetzungen stetig verändern.
Das Genom von Weizen ist viel komplizierter als das menschliche. Es ist mit 100.000 Genen fünf Mal so groß wie unser Genom mit „nur“ 20.000 Genen. Spannagl vergleicht das Weizengenom gerne mit 21 Telefonbüchern, in denen zu 80 Prozent immer der gleiche Name steht. Dann müsse man sich vorstellen, die Bücher zu schreddern und anschließend zu versuchen, sie wieder zusammenzusetzen. Analog dazu verlief die Entschlüsselung des Weizengenoms: Es besteht aus 21 Chromosomen. Darauf befinden sich bis zu 80 Prozent sich wiederholende (repetitive) Sequenzen – eine mühsame und langwierige Arbeit.
Wieso es jedoch diese große Menge an repetitiven Elementen von gut 80 Prozent gibt, ist noch nicht geklärt. Vermutlich ist es ein evolutionärer Vorteil für die Pflanzen: Durch den Vorrat an identischem Material könnten viel mehr Möglichkeiten für Veränderungen und neue Funktionen geschaffen werden, während die alten Eigenschaften gleichzeitig nicht verloren gehen, da sie immer noch an anderen Stellen in der DNA codiert sind. Dadurch wäre eine bessere Anpassung der Pflanze an Umwelteinflüsse gesichert.
Wie haben es die Forscherinnen und Forscher trotzdem geschafft, das Genom auszulesen?
Durch den Fortschritt in der Wissenschaft konnten mit der Zeit bessere Methoden entwickelt werden, um das Genom bestimmen zu können. Aber auch durch höhere Computerleistungen und bessere Algorithmen wurden große Fortschritte dabei erzielt, das „geschredderte“ Genom wieder zusammen zu setzen. Herausragend ist nicht nur, dass es gelang, das Genom des Weizens zu entschlüsseln. Die dafür angewandten und entwickelten Methoden können auch auf andere Pflanzenarten angewendet werden, denn dem komplizierten Genom des Weizens stehen viele andere Pflanzen in nichts nach.
Wie ein entschlüsseltes Genom hilft, den Weizen zu verbessern
Dass man den Ertrag von Weizen steigern sollte, ohne dabei die Anbaufläche zu vergrößern, klingt reizvoll, ist aber gar nicht so einfach. Durch die Entschlüsselung des Genoms kann man die Pflanze jedoch nicht nur ertragreicher machen, sondern sie auch so modifizieren, dass sie gegen den Klimawandel resistenter wird. Weizen wird dadurch beispielsweise resistent gegen Hitze, Trockenheit oder zu viel Feuchtigkeit. Aber auch eine größere Resistenz gegen Schädlinge kann erzielt werden, so dass weniger für die Natur belastende Herbizide und Pestizide eingesetzt werden müssen.
Schneller zu resistenteren Pflanzen
Auf der Basis der Mendel‘schen Vererbungslehre können mögliche Nachkommen der Elterngeneration gezüchtet werden. Dazu werden passende Vater- und Mutterpflanzen gekreuzt (man sagt auch befruchtet), aus denen dann neue Sorten entstehen. Wissenschaftler wie Manuel Spannagl helfen mit ihrer Forschung vorab bei der Identifizierung von Genen, die die gewünschten Merkmale tragen. Schwierig zu züchten ist vor allem die Resistenz gegen Folgen des Klimawandels, wie Hitze, Dürre und Feuchtigkeit, da dafür nicht einzelne Gene zuständig sind, sondern mehrere. Für die Resistenz gegen Pilze wiederum ist jedoch meistens nur ein Gen zuständig.
Wie Genom-Editing bei Krankheiten wie Zöliakie helfen kann
Bei Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, an der etwa ein Prozent der Bevölkerung weltweit leidet. Autoimmunkrankheiten sind Krankheiten, bei denen der Körper gegen körpereigene Stoffe vorgeht. Im Falle einer Zöliakie entstehen nach dem Verzehr von Weizen, Dinkel, Roggen und Hafer schmerzhafte Entzündungen der Dünndarmschleimhaut. Das kann zu Bauchkrämpfen, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit und Depressionen führen. Zusätzlich gibt es auch noch Weizenallergien und -unverträglichkeiten, an denen ca. 15 Prozent der Bevölkerung leiden.
Die Forschung hat bereits herausgefunden, dass jene Gene, die Gluten codieren, auch für den „Kleber“ zuständig sind, der das Brot beim Backen zusammenhält. Momentan wird noch daran geforscht, ob die Abschnitte auf dem Gen, die das Gluten produzieren, ausschaltbar sind, während die anderen erwünschten Klebereigenschaften beibehalten werden. Für 16 Prozent der Bevölkerung wäre es wohl eine gute Nachricht, künftig Weizenprodukte essen zu können.
Ist Bio-Saatgut immer ohne Genmanipulation?
Bei der Züchtung von Bio-Saatgut werden, ganz nach Darwins Evolutionstheorie, die Pflanzen sich selbst überlassen, damit sie sich durch Mutation besser an die Umwelteinflüsse anpassen können. Solch eine Veränderung dauert etwa 15 Jahre, aber es ist nicht immer garantiert, dass sich die Pflanze so entwickelt, wie es gewünscht ist. Um die Mutationsvielfalt zu erhöhen, werden manche Pflanzen bestrahlt oder chemisch behandelt. Da sich bei Mutationen jedoch immer das Erbgut verändert, spricht man auch hier bereits von Genmodifizierung.
Wie bedenklich ist der Anbau genveränderter Produkte?
Beim Anbau auf dem freien Feld kann es passieren, dass sich die Samen der genveränderten Pflanzen ungehindert auch auf andere Felder verteilen. Es ist also möglich, dass wir als Verbraucher Lebensmittel essen, die als gentechnikfrei bezeichnet werden, es aber strenggenommen nicht sind.
Desweiteren liegen noch nicht genügend Erkenntnisse darüber vor, wie sich das genveränderte Produkt bei seiner Interaktion mit dem Ökosystem verhält und es möglicherweise sogar negativ beeinflusst.
Auch besteht die die Gefahr der Resistenzbildung. Das bedeutet, dass sich Schädlinge an die veränderten Pflanzen anpassen (also Resistenzen bilden) und so weiterhin ganze Ernten zerstören können.
Kritikerinnen und Kritiker befürchten zudem, dass der Anbau von genveränderten Pflanzen, durch ihren evolutionären Vorteil gegenüber den ursprünglichen Pflanzen, die Artenvielfalt bedrohen.
Befürworterinnen und Befürworter hingegen argumentieren, dass der ertragreichere, genveränderte Weizen eher einen Vorteil für die Biodiversität bringe, da dieser beim Anbau weniger Fläche verbrauchen und somit den bislang vorherrschenden Monokulturen – eine der Gründe des Artensterbens – eher entgegen wirken würde.
Was sagt die EU zum Thema Gentechnik?
Momentan werden zwar größere Mengen an genveränderten Futtermitteln vor allem aus den USA importiert, aber nur sehr wenige genveränderte Nahrungsmittel. Dies liegt vor allem an den aufwendigen Zulassungsprozessen für menschliche Nahrungsmittel: Vor dem Einsatz neuer Technologien müssen Risiko und Nutzen sorgfältig abgewägt werden.
Spannagl kritisiert allerdings, dass dies beim sogenannten Genom-Editing noch nicht ausreichend geschehen sei. Es gebe gute Gründe, dass es mit der klassischen und zugelassenen Züchtung gleichgestellt werde, da im Grunde auch dort nur versucht würde, durch Mutation neue resistentere Pflanzenarten herzustellen. Der Vorteil von Genom-Editing sei jedoch, dass gezielt in das Genom eingegriffen werden könne und so nicht nur der Prozess beschleunigt, sondern auch unerwünschte andere Phänomene verhindert werden könnten.
Kampf gegen Monopolisten wie Monsanto und Co.
Monsanto ist einer der weltweit größten Pflanzen- und Pestizidhersteller mit monopolartigem Marktanteil, wodurch er sehr viel Macht auf die Landwirtschaft ausüben kann. In Entwicklungsländern wie Indien beispielsweise verkauft Monsanto nur einjähriges Saatgut. So wird erreicht, dass die Farmer kein eigenes Saatgut nachzüchten können und immer wieder neues nachkaufen müssen, also völlig abhängig von dem Konzern sind, was viele Menschenrechtsorganisationen kritisieren.
Um gegen die Monopolmacht solcher Konzerne vorzugehen, helfen so genannte Open-Source-Projekte, bei denen jeder nach der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen auf diese zugreifen kann. Die Entschlüsselung des Genoms von Weizen ist genau so ein Projekt, wie unser Experte Dr. Spannagl betont hat. Ihm ist es wichtig, dass seine Forschung allen Menschen gleichermaßen zugute kommt und nicht große Konzerne wie Monsanto und Co. die alleinigen Nutznießer sind.
Unser Fazit
Wir würden uns ein Umdenken in der Bevölkerung wünschen. Bislang verbinden die meisten mit Genom-Editing lediglich Profitgier, Ausbeutung und eine Gefahr für die Gesundheit. Dabei bietet es auch die Chance, den Ertrag beispielsweise von Weizen zu erhöhen und so alle Menschen zu ernähren. Außerdem besteht die Möglichkeit, unsere Kulturpflanzen an den Klimawandel anzupassen, bevor sie aussterben, da ihre eigene Anpassung möglicherweise nicht schnell genug vonstatten geht. Wichtig bei der Diskussion um Genveränderungen ist, sich gut darüber zu informieren, die bisherigen Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet kritisch zu evaluieren und zwischen Nutzen und Risiko sorgfältig abzuwägen.